Cover des Buches The Essex Serpent (ISBN: B06VWFDTPH)
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Rezension zu The Essex Serpent von Sarah Perry

Ein faszinierendes Buch: Ruhig, aber mit vielen spannenden Facetten

von LaLecture vor 6 Jahren

Kurzmeinung: Ein faszinierendes Buch: ruhig, aber mit vielen spannenden Facetten

Rezension

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LaLecturevor 6 Jahren

Inhalt


Großbritannien, 1892: Die frisch verwitwete Cora Seaborne genießt nach dem Tod ihres gewalttätigen Ehemannes ihre neugewonnene Freiheit. Die unkonventionelle junge Frau hegt großes Interesse für Archäologie und hofft, in dem kleinen Örtchen Aldwinter in Essex die aus Legenden berühmte Schlange von Essex zu finden, in der sie einen evolutionsgeschichtlich altes Meerestier vermutet.
Dabei lernt sie den Reverend William Ransome kennen, mit dem sie des Öfteren aneinandergerät, aber auch auf einer Wellenlänge zu sein scheint.
Martha, das Kindermädchen von Coras autistischem Sohn Francis und eine gute Freundin von Cora, hegt dagegen eher Interesse für die sozialen Missstände in London, während Coras Freund Luke Garett, der ehemalige Arzt ihres Ehemannes, Interesse für sie hegt und ihre Faszination für das kleine Kaff in Essex nicht nachvollziehen kann.






Meinung


„The Essex Serpent“ habe ich mir tatsächlich zu mindestens 70% wegen des wunderschönen Covers gekauft und nur zu einem kleineren Teil wegen des Inhalts, der eine unkonventionelle Liebesgeschichte versprach: Eine junge Frau, die von Darwin begeistert ist und sich für Archäologie interessiert, trifft auf einen eher konservativen Pfarrer, dem ihre Lebensweise und ihre Interessen ein Dorn im Auge sein müssen - und dennoch fühlen sich beide zu einander hingezogen.
So zumindest steht es im Klappentext, doch ich möchte meine Rezension gleich mit der „Warnung“ beginnen, dass „The Essex Serpent“ kein Liebesroman ist! Sicherlich geht es unter anderem auch um Liebe, aber auch um viele andere Dinge und sowohl die Figuren als auch die Handlung sind alles andere als das, was man von konventionellen (Liebes-)Romanen gewöhnt ist.
Wer bereit ist, sich auf ein stilles, sehr spezielles und etwas anderes Buch einzulassen, wird mit „The Essex Serpent“ dennoch wundervolle Lesestunden haben.




Das erste, was an „The Essex Serpent“ auffällt, ist der ganz besondere Schreibstil. In einigen Rezensionen, die ich gelesen habe, hieß es, Sarah Perry imitiere gelungen den Schreibstil der viktorianischem Zeit, in der ihr Roman spielt. Das kann ich nicht wirklich beurteilen, aber der Stil ist definitiv erst einmal gewöhnungsbefürtig.
Er wirkt etwas altmodisch (Ich hatte im Englischen mit einigen Begriffen Probleme.) und vor allem, wie auch das ganze Buch, recht gemächlich. Immer wieder verliert die Autorin sich in Beschreibungen, ganz besonders denen der Natur vom Essex, und der Einstieg in das Buch besteht aus vielen Erklärungen und Hintergrundinformationen zu den Figuren. Dennoch gelingt es Perry, die nötigen Informationen und Erklärungen so einzustreuen, dass mir beim Lesen nicht langweilig wurde und sich Handlung und Beschreibung gerade im richtigen Maße abwechseln.


Am meisten faszinierte mich jedoch, wie humorvoll die Autorin teilweise schreibt, und das auf eine sehr schwer zu beschriebende, subtile und elegante Art. Sie macht keine plumpen Witze und die Dialoge und Beschreibungen erwecken nicht einmal den Anschein, als seien sie darauf ausgelegt, witzig zu sein; dennoch spricht besonders durch ihre intelligenten Formulierungen und ihre Art, Figuren und zwischenmenschliche Situationen zu beschreiben, ein gewisser, feinsinniger Humor.


Ebenfalls gewöhnen musste ich mich zunächst an die Verwendung der Perspektiven, denn „The Essex Serpent“ wirft durch einen personalen (aber nicht Ich-) Erzähler Blicke in die Köpfe verschiedener Figuren und widmet sich den einen mehr, den anderen weniger. Dabei ist es aber nicht nur so, dass die Perspektiven zwischen den einzelnen Kapiteln wechseln, sondern teilweise auch mitten im Kapitel, ja sogar mitten im Absatz. Besonders zu Beginn eines Abschnitts (die nach Monaten unterteilt sind) ist es keine Seltenheit, dass ein einführendes Kapitel zu Beginn die aktuelle Situation der wichtigsten Figuren nacheinander „abklappert“.
Auf diese Weise bewegt sich der Roman auch schnell weg von der Gefahr, durch den Fokus auf eine einzige Figur zu einseitig zu werden, und eröffnet sich viele Möglichkeiten der Erzählkunst.




Eng verbunden mit dieser speziellen Art zu schreiben ist auch der Aufbau der Handlung oder eher der Handlungen.
Wie bereits erwähnt ist „The Essex Serpent“ ein sehr ruhiges Buch und hat nicht wirklich eine klar definierbare Handlung und einen deutlichen roten Faden. Vielmehr begleitet der Roman uns durch ein Dreivierteljahr im Leben mehrerer Figuren, die mehr oder weniger mit einander verwoben sind und in denen mehr oder weniger aufregende Dinge passieren. Viel Action oder künstliches Drama darf man hier nicht erwarten und ich würde den Roman auch nicht gerade als „Page Turner“ bezeichnen. Dass ich zum Lesen länger brauchte als bei anderen Romanen, machte mir aber nichts aus, denn auf seine spezielle Art faszinierte er mich dennoch.


Wie man an meiner etwas unbeholfen formulierten Inhaltsangabe vielleicht erkennen kann, fällt es mir schwer, genau einzugrenzen, worum es in „The Essex Serpent“ geht. Das liegt daran, dass durch die vielen verschiedenen Figuren so viele verschiedene Themen angesprochen werden. Zum Teil geht es, wie der Klappentext verspricht, um die Liebe in den verschiedensten Facetten. Verbotene Liebe, die man zu unterdrücken versucht, unerwiderte Liebe, freundschaftliche Liebe, die Liebe in einer schwierigen Mutter-Sohn-Beziehung. Dennoch nimmt keine der erwähnten Liebesbeziehungen im Roman überhand und droht, zu kitschig oder künstlich dramatisch zu werden, weshalb ich den Roman auch nicht als Liebesroman bezeichnen würde.
Nebenbei ist das Buch auch ein sehr feministisches, denn viele der Personen, aus deren Perspektive erzählt wird, sind Frauen - Frauen, die unkonventionell handeln und sich von den Männern ihrer Zeit nichts vorschreiben lassen wollen. Durch ihre verschiedenen Lebenslagen werden verschiedene Themen angesprochen, beispielsweise Misshandlung in der Ehe, Rollenbilder, gesellschaftliche Zwänge, die vor allem für Frauen galten, der Wunsch nach Unabhängigkeit und der Unmut, als Frau nur als „die Frau von...“ und nicht als eigenständige Person gesehen zu werden.
Durch die Figur Martha werden auch soziale Ungerechtigkeiten thematisiert, durch die Bewohner von Aldwinter spielt wiederum auch Aberglaube eine große Rolle und natürlich wird auch der Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft viel diskutiert.
Genau diese Vielseitigkeit des Romans sorgt dafür, dass er trotz seines gemächlichen Tempos keinesfalls langweilig wird.




Vielseitig wie die Themen sind auch die Figuren des Buches.
Cora Seaborne ist eine fantastische Roman-Protaonistin. Nicht weil sie perfekt oder übermäßig sympathisch wäre, sondern weil sie authentisch und facettenreich ist, sodass es mit ihr nie langweilig wird. Sie hat recht jung geheiratet und in ihrer Ehe jahrelang sehr gelitten und ihre eigentliche Natur unterdrücken müssen. Zum Teil wirkt sie deshalb so, als würde sie ihre Kindheit nun endlich ausleben wollen, wenn sie im Schlamm herumspaziert und Fossilien sammelt, wie ein Kind Muscheln sammeln würde, und sich meist nicht wirklich für die Gefühle anderer oder die Konsequenzen ihrer Handlungen interessiert. Dafür, was andere Menschen für sie empfinden, scheint sie sogar regelrecht blind zu sein, und ist oft unbeholfen in den Interaktionen mit anderen Menschen. Dennoch sucht sie die Nähe anderer, beispielsweise eine engere Beziehung mit ihrem Sohn, und ist enttäuscht, wenn sich diese nicht so leicht gestaltet, wie sie gehofft hätte. Zum Teil hat ihr Verhalten etwas Weltfremdes, ist aber gerade deshalb so erfrischend, vor allem dann, wenn sie sich über die gesellschaftlichen Konventionen zur Rolle der Frau hinwegsetzt und (zurecht) absolut nicht einsieht, wieso sie sich dafür schämen sollte.


Die anderen Figuren nehmen im Buch etwas weniger Raum ein, sind aber auf ähnliche Weise interessant und keine von ihnen ist dabei hunderprozentig sympathisch, was für mich immer ein gutes Zeichen dafür ist, dass sie stattdessen hundertprozentig authentisch sind. Besonders die konfliktreichen, äußerst imperfekten Beziehungen zwischen den Figuren haben ihren Reiz. Eine Freundschaft wirkt zunächst wie eine Zweckgemeinschaft, bis beide plötzlich merken, dass sich doch soetwas wie echte Zuneigung zwischen ihnen entwickelt hat; eine Person nutzt die Gefühle einer anderen aus; zwischen zwei anderen Menschen besteht eine subtil angedeutete körperliche Anziehung, die von der Autorin jedoch nie direkt angesprochen wird. Teilweise ist die Spannung zwischen den Menschen beim Lesen beinahe greifbar und man spürt: Ja, so sieht das echte Leben aus. Es ist nicht immer so, dass sich zwei Menschen kennenlernen, es funkt und dann ist es die große Liebe. Wie es zahlreiche Facetten in den Persönlichkeiten von Menschen gibt, gibt es auch zahlreiche Facetten in ihren Beziehungen und diese zeigt der Roman gekonnt auf.






Fazit


„The Essex Serpent“ ist ein ganz besonderer Roman, den ich jedem Menschen ans Herz legen kann, der sich auf ruhige, spezielle Bücher ohne ein spezifisches Thema und mit eher gemächlicher Handlung einlassen kann. Denn wenn man sich erst einmal an die Besonderheiten des Romans gewöhnt, wird man fasziniert von dem elegantem, subtil humorvollen Schreibstil, den faszinierenden Figuren und der Fülle an den verschiedensten Themen, die hier auf feinfühlige und intelligente Art behandelt werden.

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