Cover des Buches Das Herz der verlorenen Dinge (ISBN: 9783608961447)
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Rezension zu Das Herz der verlorenen Dinge von Tad Williams

Das Herz der verlorenen Dinge

von blauerklaus vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Gelungene "Vorgeschichte" zur neuen Trilogie, für Osten-Ard-Fans ein Muss!

Rezension

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blauerklausvor 7 Jahren
Knapp zwanzig Jahre ist es her, dass ich Tad Williams‘ vierbändige Fantasy-Saga „Das Geheimnis der großen Schwerter“ las. Die überaus detaillierte und spannend geschriebene Geschichte um den Küchenjungen Simon haben mich damals nachhaltig beeindruckt. Die epische Geschichte konnte sich meiner Meinung nach durchaus mit dem weltberühmten Vorbild Tolkien messen. Die Saga war damals eigentlich abgeschlossen, mit einer Fortsetzung konnte nicht gerechnet werden. Doch die jahrelangen Nachfragen der Fans haben Williams wohl doch überzeugt noch einmal in die von ihm erschaffene Welt „Osten Ard“ zurückzukehren.

Ich war zunächst skeptisch, ob mir die Welt von Osten Ard nach so langer Zeit noch gefallen würde, viele Einzelheiten der Handlung des ursprünglichen Zyklus hatte ich inzwischen vergessen. Doch so viel kann ich am Anfang schon verraten, die Rückkehr nach Osten Ard fiel überraschend einfach aus, zur Sicherheit hatte ich mir nochmals die Zusammenfassung der ursprünglichen Saga durchgelesen (der wikipedia-Artikel ist sehr hilfreich).

„Das Herz der verlorenen Dinge“ kann auch von Lesern, welche die ersten Bücher nicht kennen, gelesen werden, dennoch ist es vermutlich sinnvoll diese zuerst zu lesen. Als Meilenstein im High-Fantasy-Genre sind diese auf jeden Fall eine Empfehlung für alle, die an diesem Genre Interesse haben. Da ich für alle, die die Vorgeschichte noch nicht kennen, nicht spoilern möchte, gehe ich auf diese hier nicht mehr ein. Bei Interesse sind jedoch im Netz ausführliche Zusammenfassungen zu finden.

Der vorliegende Band schließt unmittelbar an die Geschehnisse im letzten Band des Schwerter-Zyklus an. Die Menschen konnten einen Sieg über das elbenhafte Volk der Nornen erringen und König Simon und seine Frau Miriamel sind nun die Herrscher über das Volk der Menschen und versuchen Frieden über Osten Ard zu bringen. Die grausame Königin der Nornen Utuk’ku ist in einem todesähnlichen Schlaf gefangen.

Die letzten überlebenden Nornen fliehen in ihre weit im Norden gelegene Heimat, wo der zu einer riesigen Stadt umgebaute Berg Nakkiga ihnen Schutz bieten soll. Eine größere Einheit der Ritter um Herzog Isgrimnur verfolgt die Nornen und möchte der Schreckensherrschaft der Nornen endgültig ein Ende setzen und auch die letzten Angehörigen dieses Volkes vernichten. Zu Beginn des Buches trifft der Leser auf die beiden aus dem Süden stammenden Ritter Porto und Endri, die beide eher zufällig in die Schar der Ritter geraten sind. Die beginnende Freundschaft der beiden Ritter scheint anfangs einen großen Teil des Romans einzunehmen.

Doch überraschenderweise wechselt Tad Williams auch anfangs schon recht häufig die Erzählperspektive und schildert die Ereignisse aus Sicht der verfolgten Nornen. Die in der Ursprungsgeschichte noch so heroisch beschriebenen Menschen werden jetzt deutlich kritischer dargestellt, die Sympathien des Lesers gelten überraschenderweise viel öfter den Nornen. Dazu trägt in erheblichem Umfang bei, dass Williams sich viel Zeit nimmt um die Nornen und deren Gedanken und Gefühle ausführlich zu schildern. Mittelpunkt in diesem Teil der Geschichte ist Viyeki, ein Heeresvormann aus dem Clan der Bauleute, der sich nicht nur von den auf Rache sinnenden Menschen, sondern auch von zahlreichen Intrigen innerhalb der Nornen-Clans verfolgt sieht. So stehen der Feldzug gegen die überlebenden Nornen sowie die Belagerung in deren Heimat im Mittelpunkt des Romans, was das Buch im Wesentlichen zu einem Kriegsroman macht.

„Kriege enden nicht, dachte er plötzlich. Sie werden zu Geschichten, die man Kindern erzählt, zu Anliegen, denen sich diejenigen verschreiben, die zu Beginn des Krieges noch nicht mal geboren waren. Aber sie enden nicht.“ (Seite 98)

Das Buch ist für Williams‘ Verhältnisse eher kurz geraten. 380 Seiten umfasst das Buch einschließlich eines recht umfangreichen Anhangs mit Personenregister, Karten, einer kurzen Geschichte über das Volk der Feen und einer Leseprobe des Folgeromans. Im Vergleich zu anderen Büchern des Autors damit eine eher kürzere Geschichte. Für eine Aufteilung des Buches in verschiedene Handlungsorte, wie das beim Ursprungszyklus der Fall war, war daher hier kein Platz, was aber wiederum der Spannung zugute kommt.

„Das Herz der verlorenen Dinge“ ist vom Autor als Bindeglied zwischen dem alten Osten-Ard-Zyklus und der bald erscheinenden neuen Trilogie gedacht. Sowohl Neueinsteiger als auch alte Fans werden damit wieder in die Welt von Osten Ard geführt. Williams beginnt in diesem Buch einige Erzählstränge, bei denen es spannend wird, wie sich diese in den künftigen Büchern entwickeln werden. Wird die Königin Uttuk’ku aus ihrem Schlaf erwachen? Kann König Simon seinen ehrenhaften Idealen gerecht werden? Wird Viyeki und sein Volk überleben und welche Rolle spielt das namengebende Amulett „Das Herz der verlorenen Dinge“?
Ich bin gespannt, ob der Schwerpunkt der Erzählung auch in den kommenden Büchern weiterhin bei den Nornen liegen wird, das wäre vermutlich mal ein innovativer Ansatz für eine Fortsetzungsgeschichte, die Handlung aus der Sicht der „Besiegten“ zu erzählen.

Fazit: Für Fans der ursprünglichen Saga ein gelungener Wiedereinstieg in die neue Serie, ob man das Buch gelesen haben muss um der künftigen Handlung folgen zu können, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden. Auch für Neueinsteiger ist das Buch geeignet, bietet es doch eine abgeschlossene Handlung und greift nur minimal auf das Personal der Vorgängerromane zurück.

Eine Frage, die sich mir bei der Lektüre immer wieder gestellt hat: Möchte der Autor in den geschilderten kriegerischen Handlungen der Menschen bewusst Parallelen zu heutigen Konflikten ziehen? Können die Nornen stellvertretend für besiegte Völker der Gegenwart gesehen werden? Lasst mir gerne eure Meinungen dazu und eure Gedanken zum Buch in den Kommentaren da.

Der erste „offizielle“ Band der neuen Osten-Ard-Trilogie “Die Hexenholzkrone“ die zeitlich dreißig Jahre nach den geschilderten Ereignissen spielt, erscheint am 09.09.2017. Etwas kritisch sehe ich die Tatsache, dass dieses Buch, wie bei manchen Fantasy-Reihen üblich, in zwei Teilen erscheint. Der Verlag gibt als Grund an, dass das Buch mit über 1300 Seiten zu lang wäre. Ich frage mich allerdings, ob man sich das auch bei anderen Autoren (wie Paul Auster mit seinem aktuellen Buch) getraut hätte.
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