Cover des Buches 8 1/2 Millionen (ISBN: 9783037340554)
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Rezension zu 8 1/2 Millionen von Tom McCarthy

Rezension zu "8 1/2 Millionen" von Tom McCarthy

von yoko vor 13 Jahren

Rezension

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yokovor 13 Jahren
Nun kann ich wieder atmen. Vernünftig atmen. Ich sehe nicht mehr aus, wie eine hochschwangere Frau, die in den letzten Wehen liegt. Ich bin kein winselndes Wesen, das auf dem Boden hockt und nach Luft schnappt. Der Blutdruck ist einigermaßen normal, nehme ich mal an. Jetzt, wo das Buch ganz brav geschlossen neben mir liegt. Selten hat mich ein Roman dermaßen in den Wahnsinn getrieben wie „8 ½ Millionen“ von Tom McCarthy. Bereits auf den ersten Seiten schleicht sich so eine arrogante Gewissheit an. Sie flüstert dir ins Ohr: „Dieses Buch ist schräg!“ Vollkommen verdreht und abgefahren. Es stimmt. Verrückt geht es schon los. Der Ich-Erzähler erfährt, dass er für seinen Unfall 8 ½ Millionen Pfund Schadensersatz bekommt. Einzige Bedingung: Er darf nicht darüber sprechen, was ihm passiert ist. Als er die Nachricht erfährt, ist er vollkommen aus dem Häuschen und reißt seinen gesamten Telefonanschluss aus der Wand. Damit er weiterhin mit seinem Anwalt zu diesem Sachverhalt sprechen kann, rennt er raus zur nächsten Telefonzelle. Doch dort endet das Gespräch auch wieder unerwartet, weil er nicht ausreichend Geld dabei hatte. Also flitzt er nach oben in die Wohnung, holt wieder Geld und steht erneut in der Telefonzelle. Es klingt schon jetzt ziemlich skurril, was man mit den Augen aufsaugt. Und es geht noch weiter. Auf einer Party entdeckt der Protagonist im Bad einen Riss. Der Augenblick ist das auslösende Moment für eine wahnwitzige Idee. Plötzlich taucht aus den Tiefen seiner Erinnerung eine Szene auf, die ihn davon spült an einen Ort des vollkommenen Glücks. All das, was er plötzlich vor sich sieht, will er wieder haben. Er erinnert sich an eine Situation, die ihn glücklich gemacht. Genau das möchte er nochmals erleben. Eine wahnwitzige Eingebung ist geboren. Welche und wie sie sich fortbewegt, verrate ich nicht. Dafür ist das Buch da. Während ich die Geschichte las, habe ich überlegt, was man nicht alles mit dem Geld anstellen kann. Manche Leute kaufen sich Häuser, Autos und Yachten. Der Protagonist hingegen kauft sich einen Teil seiner Vergangenheit zurück und spürt in seiner eigenen Inszenierung das Glück, was andere beim Kauf der oben aufgezählten Dinge erleben. Wir wissen jedoch alle, dass konsumiertes Glück nicht ewig anhält. Und so öffnet sich ein Sog der Sucht, aus dem ich mich als Leserin nicht mehr entziehen konnte. Stattdessen rief ich – nicht nur einmal: „Das ist doch verrückt!“ Normalerweise sind die Spannungsbögen der Bücher wie kleine Berge. Man beginnt im Tal, arbeitet sich zum Gipfel empor, verschnauft und steigt dann wieder ab. Hier ist es etwas anders. Der Plot wächst und wächst, hört nicht auf. Wie ein Virus breitet er sich aus. Die Oberfläche wird rau, bis alles verschwimmt. Der Protagonist plant sich in Trance und nimmt den Leser mit. Die Augen werden glasig, der Atem schneller. Man japst nach Luft, dreht den Kopf gerade zum Ende hin von links nach rechts. Und in dem Augenblick, als man sich dem Ende nähert, greift man sich Stift und Papier und zeichnet alles nach. Die Mine krakelt vor sich hin und der Stift wackelt. Das ist der Augenblick, in dem man sich diese eine Szene zurückwünscht. Diese und sonst keine andere. Verwirrt? Super! Dann sind die besten Voraussetzungen für dieses großartige literarische Meisterstück geschaffen! Und bitte: Vergesst das Atmen nicht!
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