Cover des Buches Lunapark (ISBN: 9783462049237)
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Rezension zu Lunapark von Volker Kutscher

Quereinstieg: Lunapark - Volker Kutscher

von DunklesSchaf vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Politikgeschichtliche hochspannend, aber Gereon Rath war nun nicht ganz mein Fall

Rezension

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DunklesSchafvor 7 Jahren

Ich habe mich nochmal in die Mitte einer Serie getraut. Gehört hab ich natürlich schon viel von Volker Kutscher und seinem Gereon Rath, doch bis jetzt hatte ich noch nicht das Vergnügen, mich in eines seiner Bücher zu vertiefen. Derweil der erste Teil der Reihe „Der nasse Fisch“ im Jahr 1929 spielt, befinden wir uns mit Lunapark schon im Jahr 1934. Die Nazis haben die Macht ergriffen, die Kommunisten und Sozialisten sind vertrieben oder leben versteckt, die Hitlerjugend ist auf dem Vormarsch – es ist die Zeit kurz vor dem Röhm-Putsch. Geschichtlich eine wirklich interessante und sehr spannende Zeit, vor allem, weil wir ja wissen, wie die Geschichte ausgehen wird und wir quasi dabei zusehen müssen, wie die Menschen mit offenen Augen in ihr Unglück rennen. Aber wie sieht es von der kriminalistischen Seite aus? Kann Volker Kutchers Gereon Rath da auch viel bieten?

Als Gereon Rath zu einem Mordfall gerufen wird, findet er den übel zugerichteten SA-Mann Horst Kaczmarek, unter Freunden auch mehr oder minder liebevoll Katsche gerufen, unter einer halben kommunistischen Parole vor. Das ruft auch die Gestapo schnell auf den Plan, in Person Raths früheren Kollegen Gräf, der die Nazi-Gesinnung als Karrieresprungbrett benutzt. Dort sind schnell die Schuldigen gefunden, es muss natürlich die Gruppe Wolff sein, eine von Russland bzw. Stalin indoktrinierte und zurückgesandte Gruppe von Kommunisten, die den Nationalsozialismus mit heimlich hingeschmierten Parolen untergraben und stürzen soll. Diese Theorie scheint anscheinend nur Gereon Rath hanebüchen. Derweil also die Gestapo einer Gruppe Wolff hinterher hetzt, macht Gereon Rath, das was er schon immer konnte und kann: ermitteln. Und zwar allein.

Gereon Rath ist ein Eigenbrötler. Anscheinend ist er schon in früheren Teilen nicht teamfähig gewesen, mit der Gestapo und seinem früheren Kollegen Gräf ist er es nun ganz besonders nicht. Das hat zum einen Vorteile, denn die festgelegten Ermittlungen in Richtung Kommunisten inklusive der Ignoranz vorhandener Spuren oder dem Nichtzulassen von anderen Ermittlungsansätzen und Theorien, kann Rath nur so entkommen. Andererseits bringt ihm das auch Nachteile, denn sowohl die SA als auch die Gestapo sitzen mittlerweile am längeren Hebel und Rath entkommt nur knapp Maßregelungen und drohendem Jobverlust. Rath ist aber auch einer, der gerne seine Augen verschließt. Klar kann man das heute einfach sagen, weil man weiß, wie die Geschichte weiter geht, doch Rath ist in der Hinsicht wirklich naiv. Noch 1934, ein Jahr nach Machtergreifung durch die Nazis, und obwohl sein Pflegesohn Fritze nach und nach mehr von der Hitlerjugend vereinnahmt wird, macht er beide Augen zu und behauptet, dass alles wieder gut wird. Dass „Papa“ Hindenburg das schon wieder richten wird. Gereon ist ein widersprüchlicher Charakter. Zwar kann er sich in seinem Job behaupten, Karriere wird er aber wohl erst mal nicht machen. Insgesamt ist er mir zu lasch – gegenüber seinen Mitarbeitern, gegenüber Fritze und auch gegenüber alten Freunden, ob nun Kollegen oder Verbrechern.

Im Gegenzug dazu steht seine Frau Charlotte. Sie versucht des Öfteren Rath vom Gegenteil zu überzeugen, nicht nur, als Rath ohne zu lesen, den Mitgliedsbeitritt von Fritze für die HJ ungesehen unterzeichnet. Mit ihr erlebt man auch die Gesellschaft, ganz ohne Polizeiabzeichen, z. B. wie Leute schnell in Läden verschwinden, wenn ein Pulk SAler um die Ecke biegt, aber solche Kleinigkeiten bleiben zu Hause unerwähnt. Gespräche und Unterhaltungen sind jetzt nicht unbedingt die Stärke im Hause Rath. Gereon erzählt praktisch nichts von seinen Ermittlungen, aber auch nicht, dass er einem alten Bekannten, dem Gangsterboss Marlow, begegnet ist. Aber auch Charlotte hält vor Gereon geheim, dass sie auf der Suche nach einem untergetauchten Kommunisten ist, nachdem dessen Schwester sie beauftragt hat. Auch ihren neuen Job in einer Anwaltskanzlei verheimlicht sie so lange wie möglich, auch wenn sie Gereons Unterschrift benötigt, um dort zu arbeiten. Die Raths machen sich das Leben wirklich unnötig schwer und man mag sie ständig durchschütteln. Es scheint auch, als würden sie aus ihrem Verhalten nicht lernen, in ihren Geheimnissen gefangen zu sein und somit in ihrer Beziehung in Stillstand zu verharren.

Dieses Dreigestirn an Figuren, welches sich im Hause Rath tummelt, scheint die damalige Situation gut zu beschreiben. Wir haben die, die den Ernst der Lage erkennen, aber nicht viel machen können in Charlotte vertreten, wir haben die, die begeistert folgen in Fritze gespiegelt und Gereon ist derjenige, der wie viele wegguckt und hofft, dass es bald besser wird. Eine sehr ungesunde Mischung, wie wir aus der Erfahrung wissen. Neben dieser politisch und gesellschaftlich heiklen Situation, den vielen historischen Kleinigkeiten, die eingestreut sind (z. B. Gereons Zigarettenmarke, die ich ehrlich gesagt, schon bald nicht mehr lesen konnte, es hätte auch mal gereicht zu schreiben, dass er sich eine Zigarette anzündet – aber noch vielen anderen kleinen Dingen) und den Figuren, die den Lesern der ersten Stunde der Serie vermutlich mehr ans Herz gewachsen sind als mir bis jetzt, gibt es natürlich noch den Kriminalfall.

Ja, der Kriminalfall. Die Lösung der Gestapo kann kein Leser auch nur für einen Moment als möglich ansehen – einfach schon, weil sie keinen anderen Schluss zulassen. Die Ermittlungen von Gereon Rath führen dann über ein Glasauge zu einem alten Mann zur Kirche und außerhalb von Berlin bis sie letztendlich bei alten Bekannten landen – allerdings findet Gereon dies recht schnell heraus. Trotzdem lässt die Spannung nicht nach, denn der Täter ist zwar bekannt, aber noch lange nicht gefasst. Und was genau der Lunapark damit zu tun hat, tja, das müsst ihr dann noch selbst herausfinden.

Abschließend kann ich sagen, dass mir der Krimi ganz gut gefallen hat, auch wenn ich glaube, dass die Begeisterung bei den Lesern, welche die vorigen Teile auch schon kannten, wesentlich höher war, als bei mir. Ich vermute mal, es ist der Sog der Serie, wenn einem die Charaktere einfach ans Herz wachsen – und man dann das Ganze noch mit politisch-interessante Zeiten und einem spannenden Kriminalfall geliefert bekommt. Der Quereinstieg, wie ich ihn gemacht habe, ist durchaus möglich, denn der Autor erklärt alle wiederkehrenden Elemente kurz, so dass man nicht verwirrt ist. Allerdings muss man schon sagen, dass die Geschichten sehr miteinander verwoben sind – d. h. das Buch „Lunapark“ hätte es ohne die vorigen Teile gar nicht geben können. Auch bin ich mir nicht sicher, ob ich tatsächlich die vorigen Teile nachholen werde, denn einige Dinge sind mir jetzt schon bekannt und ich fürchte mich vor fehlender Spannung, wenn ich denn nun eben einiges schon kenne oder wiedererkenne. Schade eigentlich, denn gerade die politisch-historische Komponente würde mich reizen. Gereon Rath Fans werden „Lunapark“ sowieso lesen – allen andere empfehle ich tatsächlich mit dem ersten Teil der Serie „Der nasse Fisch“ zu beginnen.

Fazit:
Der Krimi ist politikgeschichtlich hochinteressant und mit einem recht spannenden Fall garniert, allerdings war mir Gereon Rath ein wenig zu lasch. Ein Quereinstieg in die Reihe ist möglich, aber ich empfehle ihn nicht.

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