Inhalt
1922. Edith Thompson sitzt in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Mittäterschaft bei dem Mord an ihrem Ehemann Percy Thompson. Ihr jüngerer Geliebter Freddy Bywaters hatte diesen mit einem Messer niedergestochen, sitzt selbst im Gefängnis. Doch Edith glaubt an ihre Unschuld.
Rezension
Mehr als Schwarz und Weiss
Der Fall Edith Thompson und Frederick Bywaters brachte Anfang der 1920er Jahre jede Menge Aufmerksamkeit mit sich. Die beiden Angeklagten sollen gemeinsam einen Plan geschmiedet haben, um sich des lästigen Ehemanns von Mrs Thompson zu entledigen. Als Briefe von Edith und Freddy auftauchen und vor Gericht öffentlich vorgelesen werden, wird die junge Frau schnell als Drahtzieherin des Mordes mitangeklagt. Doch jede Geschichte hat mehr als nur eine Seite, mehr als nur eine einzige Wahrheit. Und Jill Dawson versucht uns diese zu vermitteln.
Edith und Percy, Avis und Freddy. Freddy und Edith. Ein Urlaub mit ihrem Mann Percy, ihrer Schwester Avis und derem neuen Freund Freddy ist der Auftakt zu einem kurzen, leidenschaftlichen Leben mit einer Tragödie, die bis heute nicht wirklich ruhen kann.
Edith ist unglücklich in ihrer Ehe. Ihr Mann, von Natur aus eher mürrisch und herrisch – und in Verbindung mit Alkohol noch weitaus grober – ist nicht das, was sich die junge Frau erträumt hat. Dagegen besticht der neue Freund ihrer Schwester mit seinem fröhlichen Auftreten, seiner Art, das Leben zu genießen, in Edith mehr zu sehen als den äußeren Schein. Als Percy am Ende des Urlaubs Freddy anbietet, bei ihnen daheim als Untermieter zu leben, nimmt die Affäre ihren Lauf.
Natürlich möchte man zunächst auf der Seite des ermordeten Ehemanns stehen, wie können die beiden es wagen, wie kann Edith auch nur darauf hoffen, freigesprochen zu werden? Und doch, nur wenige Seiten müssen vergehen, da finden wir Leser uns in den Briefen Ediths wieder, die sie im Gefängnis an ihren Liebsten schreibt und sie doch nicht abschicken darf, die uns ein gänzlich anderes Bild vermitteln. Die zarten Bande, die sich zwischen den beiden entwickeln, die Grobschlächtigkeit des eigenen Mannes daheim, die heimlichen Minuten in Cafés und Parks, gestohlene Momente. Das Unglück, das über die beiden hereinbricht, als die Momente zu Wochen werden, zu Monaten, in denen Edith immer wieder ihren Mann um eine Scheidung bittet, die dieser einfach nicht gewähren will, ganz gleich, wie unwohl sich beide in dieser Ehe fühlen.
Edith, die im Gefängnis Hoffnungen hegt, wenn sie nur aussagen dürfte, dann würden die Geschworenen schon sehen, wie unschuldig ihre Liebe doch im Grunde war. Edith, die beinahe zusammenbricht, als intimste Briefe laut verlesen werden, aus dem Zusammenhang heraus und ohne Erklärung. Die sie als Hexe darstellen, ihr Mordpläne unterstellen, auch wenn nie Gift im exhumierten Körper ihres Mannes nachgewiesen werden konnte. Edith, die von der Presse verleumndet wird, deren Urteil schon lange feststeht, bevor es zur Urteilssprechung kommt, und die in ihren Briefen doch immer wieder Hoffnung über einen guten Ausgang zum Ausdruck bringt.
Jill Dawson versteht es meisterlich, die Zeit in ihrem Buch einzufangen, das Leben einer Frau in der damaligen Gesellschaft, deren einziges Recht darin zu bestehen schien, am heimischen Herd ihrem Mann stets gefällig zu sein. Se webt authentische Berichterstattungen und Briefe ein, zeigt uns das Bild der Öffentlichkeit von Edith Thompson, die dabei scheinbar sogar mehr verteufelt wird als der eigentliche Mörder, der junge Freddy Bywaters.
Fazit
Ein unglaublich berührendes Buch, das sich einem wahren Mordfall widmet, der bei oberflächlichem Betrachten zwar grausam war, der aber weitaus komplexer ist, je mehr man die Geschichten dahinter versteht.