Schon lange bin ich um dieses Buch gekreist. Allein schon der Titel hatte mich aufmerksam gemacht, ohne dass ich zu dem Zeitpunkt so genau wusste, worum es eigentlich geht. Und das Cover - das muss man an dieser Stelle mal sagen - war es eigentlich nicht. Doch gerade wegen seiner Schlichtheit und weil es mehr oder weniger nur den neugierig machenden Titel enthält, war es schon so besonders.
Eigentlich dachte ich, dass ich mittlerweile schon über viele historische Ereignisse oder Epochen gelesen habe - aber dieses Buch hat mich eines anderen belehrt. Weder mit der Flucht aus Ostpreußen, noch mit der Zeit der amerikanischen Besatzung hatte ich mich bislang so detailliert auseinandergesetzt. Und so hat mich der Roman, auch dank der sehr geschickten Verknüpfung der uns noch allen präsenten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 und der immer wieder betroffen machenden Thematik Alzheimer eigentlich ab der ersten Seite in seinen Bann gezogen. Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, dass sich so schwer zur Seite legen ließ.
Die beiden Hauptfiguren Tom und seine Mutter Greta werden zudem so grandios charakterisiert, dass man sofort Empathie empfindet und mitfiebert.
Gefesselt und betroffen war ich von den plastisch beschriebenen Strapazen und Gräueln, die die Flucht aus Ostpreußen bedeutete. Beklemmend auch zu sehen, wie sehr sich doch Parallelen noch zu den Ressentiments, dem Hass und der Ablehnung gegenüber Flüchtenden heute finden.
Noch schockierter war ich über den mir bislang unbekannten „Brown Baby Plan“ in den 50er Jahren. Sehr wohl wusste ich, dass es Mischlingskinder früher sehr schwer hatten und der unerbittliche Rassismus und die Intoleranz besonders in den Fünfzigerjahren furchtbar waren und man nur wenig aus den Gräueln der Nazizeit gelernt hatte. Wie unmöglich jedoch Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen waren und wie grausam man besonders mit den Müttern und Kindern umgegangen ist, wusste ich nicht. Insbesondere nicht, dass es möglich war, den Müttern die Kinder wegzunehmen und zur Adoption freizugeben. Spätestens wenn man selbst Mutter ist, macht das fassungslos und ist kaum zu ertragen.
Die Verknüpfung von realen Zeitgeschehnissen, Reportagen und Zitaten, die geschickte Erzählweise durch den Wechsel der Perspektiven und Zeiten haben das Buch zu einem besonders authentischen und fesselnden Leseerlebnis werden lassen. Auch mich dazu angeregt, darüber hinaus zu recherchieren. Gut gefallen haben mir auch die Zeilen der Autorin im Nachwort. Auch wenn mit dem Krieg in der Ukraine die Fragilität von Frieden schmerzlich bewusst geworden ist, ist einem dennoch oft nicht klar genug , was es für ein Geschenk ist, in friedlichen Zeiten aufgewachsen zu sein. Und wie groß unsere Freiheit zumindest hier in Deutschland ist. Dass sich doch so viele oft beschweren und von fehlender Meinungsfreiheit oder Beschneudung der Rechte etc. sprechen oder gar Vergleiche zur Nazizeit ziehen, ist im Grunde unverzeihlich. Auch wie brisant das Thema Rassismus bis heute ist, wird einem wieder deutlich. Wenn man zudem selbst die Erfahrung machen musste, was Demenz bedeutet und wie schmerzlich dies für Angehörige ist, bekommt der Roman auch dadurch noch eine Tiefe und Authentizität, die wirklich selten ist.
Ein einfach grandioses Buch und bislang das Lesehighlight dieses Jahres, wenn nicht der ganzen letzten Jahre! Ich würde es sogar in die Liste der Bücher einordnen, die man unbedingt gelesen haben muss!
Für mich als selbst Schreibende war es zudem die Erkenntnis: ein wirklich gutes Buch schreibt sich nicht so einfach runter, sondern bedeutet viel Recherche und Hingabe für das Thema und braucht daher mitunter Jahre.