Der Kummer von Belgien ist
ein sehr interessantes, starkes und faszinierendes Buch,
das völlig zu Recht zum Kanon der Weltliteratur gezählt wird.
Quelle: Verlag / vlb
Der Kummer von Belgien ist
ein sehr interessantes, starkes und faszinierendes Buch,
das völlig zu Recht zum Kanon der Weltliteratur gezählt wird.
Erzähler der Geschichte ist der Lehrer De Rijckel, der sich in einer Heilanstalt für Geisteskranke befindet und zu beschreiben versucht, wie und warum er dorthin gekommen ist. Dies geschieht auf mehreren Ebenen. Zum Einen spricht er von sich in der dritten Person ("der Lehrer") und erzählt wie er - statt die Rede des Schuldirektors auf einer Versammlung anzukündigen - einen Maskenball besucht und dort einer Frau begegnet. Am nächsten Tag folgt De Rijckel gemeinsam mit dem Jungen Verzele den Spuren dieser Frau, die ihn zu dem Schloss Almout führen. Dort und in dem angrenzenden Dorf erlebt De Rijckel verschiedene absurde, zum Teil surreale Begegnungen, auch Alessandra (die Frau vom Maskenball) trifft er wieder. Die Ereignisse sind alle eng mit der Geschichte Flanderns während des Zweiten Weltkriegs verwoben und kreisen immer wieder um eine Person: den flämischen SS-Offizier Crabbe, von dem alle Einwohner des Dorfes erzählen und über dessen Tod ganz unterschiedliche Geschichten kursieren.
Eingeschoben in diesen Teil der Handlung sind immer wieder in der Ich-Form geführte Tagebuchaufzeichnungen De Rijckels, die sein Leben in der Anstalt beschreiben und ebenfalls seine Vorgeschichte thematisieren. Diese Aufzeichnungen lassen sich wiederum unterteilen in Berichte, die De Rijckel an den ihn betreuenden Arzt Dr. Korneel schreibt, und in geheime Notizen, die er in seiner Zelle versteckt. Im Laufe des Romans vermischen sich die Ebenen und Perspektiven immer stärker miteinander. De Rijckel scheint zunehmend konfuser und verwirrter zu werden. Widersprüche häufen sich. Er verfällt immer mehr dem Wahnsinn.
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Zwar sind Sprache und Stil eher einfach gehalten, doch es ist oft schwierig, den häufig zusammenhanglosen Schilderungen der absurden und zum Teil surrealen Ereignisse zu folgen. Man ist beim Lesen nicht unbedingt gespannt darauf, wie es weitergeht, da ohnehin nicht viel - und meist nur Merkwürdiges, dessen Sinn oft unverständlich bleibt - passiert.
Spaß gemacht hat mir jedoch beim Lesen darüber zu rätseln, wer Crabbe ist (der Lehrer selbst, eine multiple Persönlichkeit von ihm oder doch nur eine fiktive historische Figur?) und die Anzeichen zu suchen und zu finden, die den Erzähler als unglaubwüridg entlarven. Auch die Konstruktion des Buches mit seinen verschiedenen Ebenen und deren zunehmendes Ineinanderfließen hat mir gut gefallen. Trotzdem gibt es von mir nur zwei Sterne, da ein Buch für mich - und sei es auch noch so anspruchsvoll - in erster Linie ein Kriterium erfüllen muss: es muss mich unterhalten können, mich neugierig darauf machen, weiterzulesen. Das hat dieses Buch definitiv nicht. Deshalb kann ich es auch nur eingeschränkt empfehlen. Nämlich nur jemandem, der sich besonders für flämische, belgische und niederländische Geschichte und Literatur oder für das literaturwissenschaftliche Phänomen des unglaubwürdigen Erzählers interessiert. Denn für letzteres ist "Die Verwunderung" ein Paradebeispiel und erinnert in dieser Hinsicht an Gogols "Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen", Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" oder McGraths "Spider".
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