Rezension zu "Der Verwilderte Park" von Jacques Roubaud
Im Zwischenreich einer Kriegskindheit........
Im Jahr 1942 treffen Dora und Jacques im Süd-Westen Frankreichs nicht weit von der spanischen Grenze auf der Flucht vor den Nazis zusammen. Sie sind zehn Jahre alt und haben sich den verwilderten Park als geheimen Spielplatz auserkoren.
Dora ist mit ihrem Onkel Vlad nach Sainte- Lucie gekommen, Jaques war schon vor ihr angekommen. Sie kannten sich von früher, aber da trug er noch einen anderen Namen. Auch die jüngeren Zwillinge Joan und Jean sind hier. Was nach heiterer und fröhlicher Kindheit aussieht, das scheint von geheimen Mächten bedroht zu sein. In einer nur andeutungsweise zu verspürenden Stimmung haben sich die Kinder und Erwachsenen auf dem Landgut von Camillou, dem Großvater der Zwillinge, versammelt, um hier in der Abgeschiedenheit des Landlebens Unterschlupf zu finden. Teresa, Mutter der Zwillinge, taucht eines Tages mit einem Engländer auf; sie ist jung, schön und unbeschwert.
Für Dora herrscht Ungewissheit über das, was sich hier abspielt und was noch kommen mag. Sie sehnt sich nach ihrer Mutter, die in Toulouse zurück geblieben ist und weiß, dass sie mit dem Onkel über die Pyrenäen nach Spanien fliehen soll. Warum sie gehen muss, bleibt ungesagt.
Bei dieser Erzählung bekommt man eine Ahnung, wie Kinder Flucht und Vertreibung wahrnehmen: über das Radio mit BBC London hört man die Kriegsnachrichten; Dora kennt die Melodie, mit der die Nachrichten angekündigt werden. Sie vernimmt zuweilen Satzfetzen von den Erwachsenen wie „...in Sicherheit....“
Mit Jaques spielt sie im verwilderten Park. Dort haben sich die beiden ihr eigenes kleines Reich geschaffen: unbeobachtet von Erwachsenen spielen sie mit den Eidechsen und denken sich Geschichten aus. Unschuldig und neugierig betrachten sich die beiden gegenseitig und erleben Szenen, die sie überraschen. Von abenteuerlichen Radtouren bis zum Verstecken über geheime Lektüre reichen ihre Aktivitäten. Dora schreibt ein Tagebuch, über das wir später noch hören werden.
Jacques Roubaud zeigt sich als Meister der vagen Andeutungen und berührenden Stimmungen in Wald und Feld. Durch die Augen Doras berichtet er über das Leben als Flüchtling und die Mischung aus Erwartung, Angst und Neugier. Seine Naturbetrachtungen sind voller Wärme und verspielter Tierbeobachtungen und zeigen doch die Unbilden einer Existenz, der die Sicherheit verloren gegangen ist. Selten liest man in dieser subtilen Weise vom Zauber des Übergangs von der Kindheit zur Jugend und von einer der Gegenwart, die verborgene Ängste signalisiert.
Eine wunderbare kleine Erzählung liegt mit dem fein gestalteten Buch vor. Krieg und Untergang deuten sich an und erst ganz zuletzt wird man in die tieferen Zusammenhänge eingeweiht. Die Schicksalsjahre der Verfolgten des zweiten Weltkriegs in Frankreich stehen fein umschrieben im Fokus der Erzählung.
Jacques Roubaud, Jahrgang 1932, ist Mathematiker, Dichter und Übersetzer und lebt in Paris. Tobias Scheffel hat die Erzählung trefflich ins Deutsche übertragen.