Rezension zu "Endspurt" von Colin Forbes
Schade,
war von Raymond Harold Sawkins bzw.
„Colin Forbes“ doch schon besseres gewohnt: Lawinenexpress (der
auch verfilmt wurde) sowie Das Double. Endspurt beginnt nicht
schlecht: Tweed erinnert etwas an George Smiley, überhaupt könnte
der Beginn von John Le Carré sein. Druck des Buches 1981, ein
Spionageroman, da liegt der Gedanke nahe, es könnte um den Kalten
Krieg oder den in den 1970ern grassierenden Terrorismus von RAF, IRA
und PLO gehen. Nein, es geht um den Evergreen englischer Autoren:
„The Nazis“. Oder, da die Handlung in den 80ern spielt, halt
Neo-Nazis. Durchaus denkbar, Anknüpfungspunkt hätte eine Art neues
Oktoberfest-Attentat sein können. Kleine Gruppe, verwegene
Verfolgungsjagden, Täuschungen aller Art.
Was
präsentiert jedoch Forbes? Eine „offizielle Partei von Neo-Nazis“
(offiziell, also mit Zertifikat oder wie?) namens „Delta“, die in
Bayern bei der Landtagswahl antritt und von einem „Millionär aus
der Elektronikindustrie“ angeführt wird. Aha, ein Mann aus der
ersten Reihe der westdeutschen Wirtschaft führt offen eine
Rechtsaußen-Partei an. Da muss an schon viel Phantasie mitbringen,
aber gut.
Doch dann legt Forbes richtig los: Reinhard Dietrich (Reinhard Heydrich meets Sepp Dietrich – ein Brüller), ist nicht nur Millionär und Delta-Führer, sondern hat sich auch für die bayerische Landtagswahl aufstellen lassen. Die Bayerische SPD hat einen verkappten Kommunisten an der Spitze, der Bayern nach dem Wahlsieg als rote Räterepublik von Deutschland abtrennen möchte. Du meine Güte, in der Realität fuhr die CSU damals fette absolute Mehrheiten ein und die rechtsextreme Wehrsportgruppe Hoffmann hatte ein paar
Hundert Mitglieder. Eventuell stand Forbes ja noch unter den Eindruck des starken NPD-Ergebnisses bei der Bundestagswahl 1969 - aber mit der „kontinentalen“ Politik haben es britische Autoren sowieso eher nicht.
Endspurt
spielt also in einer Art Parallelwelt, in der Neonazis Anfang der
1980er Chancen haben, die Bayerische Landtagswahl zu gewinnen („mit
einem Ruck an der Macht") und offen mit Abzeichen am Revers
oder an der Badehose (!) herumlaufen. Kolonnen im Braunhemd (!)
marschieren am Wahltag durch München! Sollte das eine Satire werden?
Oder ein Alternativwelt-Roman? Der Leser bleibt ratlos.
Auffällig
die schlampige Recherche: Der Präsident des BND, derzeit
Besoldungsgruppe B9 (Grundgehalt 14.626 Euro im Monat) politischer
Spitzenbeamter und Berater der Bundesregierung, observiert nicht -
wie im Roman - selbst im Auto Häuser von Verdächtigen wie ein
Privatdetektiv. Und er ist auch nicht „Anfang 30" wie im
Roman. Auch ist der BND nicht für den Schutz des Bundeskanzlers
zuständig, sondern die "Sicherungsgruppe" des BKA. Es
folgt ein Schnitzer nach dem anderen: Der BND hat keine Befugnis, im
Inland mit Agenten, die MPi im Anschlag, Gebäude zu stürmen und
Verhaftungen oder eine Durchsuchung vorzunehmen. Der BND-Chef wedelt
im Roman groteskerweise mit einer „Vollmacht des bayerischen
Ministerpräsidenten, alles zu tun, was er für richtig hält".
Auffallend auch die Verwendung abstrakter Bezeichnungen wie
„Österreichische Gegenspionage“, „Schweizer Spionageabwehr“,
„Britischer Geheimdienst“ statt reale Behördennamen zu
verwenden.
Kurios
ist teilweise der Sprachstil wie in Groschenromanen, da ist einer ein
„Schweinekerl",
ein anderer ein „Knochengesicht",
ein Satz im Stil billiger Bahnhofsliteratur: „Ein
Strom von Blut brach aus seinem zerrissenen Gesicht“.
Die Figuren sind schablonenhaft ohne Tiefe, die Kerle knallhart, die
Frauen lediglich Stichwortgeber.
Der
Industrielle Reinhard Dietrich etwa ist eine reine Karikatur, wie aus
den Edgar-Wallace-Filmen (Zitat: „ein
Buckliger betrat den Raum“)
entsprungen: Trinkt „Napoleon“-Cognac und raucht
Havanna-Zigarren. Er lebt auf einem Schloss, trägt ein in London
geschneidertes Lederjackett und maßgeschneiderte Reitstiefel. In der
Bibliothek wird ein Knopf hinter einem Buch gedrückt, ein
Bücherregal gleitet zurück und gibt einen Gang zum Schlossverlies
frei. Ohne Worte.
Fazit:
Der Roman beginnt durchaus verheißungsvoll, wird aber zunehmend
uninteressant, da frei zusammen phantasiert. Lediglich das Ende im
Who-done-it-Stil wirkt etwas versöhnlich, wenn auch für aufmerksame
Leser vorhersehbar. Alles in allem unterdurchschnittlich, da
unausgewogen zwischen Politthriller und Alternativwelt-Roman hin und
her schwankend.