Rezension zu "Der Spion und der Verräter" von Ben Macintyre
Wer eine realistische Vorstellung von dem Gerangel um Macht und Herrschaft, das wir uns auch als Politik schönreden, haben möchte, erfährt in diesem Buch Einiges, denn wovon wir in der Zeitung lesen, was wir im Fernsehen sehen, ist meist nichts anderes als PRopaganda. Das Entscheidende geschieht im Geheimen. Davon handelt dieses überaus erhellende Werk, das weit über die Spionage hinausgeht, und so recht eigentlich vor allem Aufklärung darüber leistet, wie der Mensch, diese wenig erfreuliche Erscheinung, und die von ihm kreierten Apparate ticken.
Ben Macintyre, Journalist bei der Times und Autor zahlreicher Spionagebücher, ist ein glänzender Menschenkenner und weiss, dass Spione oft ein Flair für das Element der Täuschung haben. „Der Federball, der in den letzten Sekunden seines Fluges langsamer wird, gibt dem Spieler die Möglichkeit, seinen Verstand einzusetzen und seinen Schlag im letzten Moment zu ändern.“, zitiert er den aus einer KGB-Familie stammenden Oleg Gordijewski, der vom sowjetischen System bitter enttäuscht, für den britischen Geheimdienst spionierte.
Doch Ben Macintyre erzählt nicht nur die Geschichte von Oleg Gordijewski, der „in einer engverbundenen, liebevollen Familie“ aufwuchs, „die von Doppelmoral geprägt war“, und die Briten mit der Denkweise des Kreml vertraut machte, er informiert auch ausgiebig darüber, was der KGB eigentlich ist und wie er operiert.
„Für den Westen war das Akronym der Inbegriff von Terror nach innen und Aggression und Subversion nach aussen, eine Abkürzung für die ganze Grausamkeit eines totalitären Regimes, das von einer gesichtslosen Beamtenmafia geführt wird. Aber der KGB wurde von denen, die unter seiner strengen Herrschaft lebten, nicht so gesehen. Sicherlich flösste er Angst und Gehorsam ein, aber er wurde auch als Prätorianergarde bewundert, als Bollwerk gegen westliche imperialistische und kapitalistische Aggression und als Beschützer des Kommunismus. Die Zugehörigkeit zu dieser elitären und privilegierten Truppe verschaffte Bewunderung und erzeugte Stolz. Wer dem Dienst beitrat, tat dies fürs ganze Leben. 'So etwas wie einen ehemaligen KGB-Mann gibt es nicht', sagte einmal der ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin.“
„Fake News“ und gezielte Desinformation gehören genauso zu den Waffen des KGB wie das Rekrutieren feindlicher Agenten sowie nützlicher Idioten wie etwa den späteren Labour-Chef Michael Foot. Zudem werden viele Illegale in fremde Länder eingeschleust, die in Wirklichkeit KGB-Offiziere sind, jedoch als Journalisten und Handelsvertreter arbeiten.
Dieses Buch zu lesen, bedeutet auch, ein paar Illusionen zu verlieren. Ich jedenfalls konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Westen gegenüber den Russen von beispielloser Naivität ist. Sicher, Spione fliegen immer mal wieder auf, doch das bedeutet vor allem, dass es wohl nicht wenige gibt, die nicht auffliegen. Der Spion und der Verräter legt die Vermutung nahe, dass der Westen wesentlich intensiver unterwandert ist, als wir gemeinhin annehmen. Die wenigen Fälle, die bekannt wurden, sind kaum mehr die Spitze des Eisbergs.
Die Welt der Spionage ist eine Welt der Angst. Ständig muss man davon ausgehen, überwacht und denunziert zu werden, Niemanden ist zu trauen. Das ist in allen totalitären Staaten so. Wie kam es also, dass ein KGB-Mann wie Gordijewski die Seiten wechselte? Nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil er das Regime verachtete und dabei die Achtung erlangte, nach der er sich sehnte.
So erlebte er die KGB-Zentrale in London. „Gordijewski fand sich in einem stalinistischen Miniaturstaat wieder, in einer abgeschotteten Welt voller Misstrauen, kleinlicher Eifersüchteleien und Verleumdungen.“ Es war ein Ort, an dem die Paranoia herrschte. Die Russen wähnten sich all überall ständig beobachtet, die Tatsache, dass sie keine Hinweise dafür fanden, bestätigte sie noch darin! Von sich auf andere zu schliessen, ist keine besonders gute Art, durch die Welt zu gehen.
Der KGB, lerne ich aus diesem Buch, ist viel fehlerhafter, ungeschickter und ineffizienter, als man sich das gemeinhin vorstellt. Und die russische Weltsicht ist paranoid – das hat auch der Angriff auf die Ukraine gezeigt. „1982 heizte sich der Kalte Krieg bis zu einem Punkt auf, an dem der Atomkrieg wirklich möglich erschien. Gordijewski enthüllte, dass der Kreml – fälschlicherweise, aber ernsthaft – glaubte, der Westen stehe kurz davor, den Atomknopf zu drücken.“
Liest man, was die Russen für Indizien für einen unmittelbar bevorstehenden Angriff der USA und der Nato hielten – „Wenn die Zahl der in Schlachthöfen getöteten Rinder stark zunähme, könnte dies ein Hinweis darauf sei, dass der Westen vor dem Armageddon Hamburger hortet.“ – , bestätigt wieder einmal, dass die Welt von Idioten regiert wird (ich gehe nicht davon aus, dass das westliche Führungspersonal geistig gesünder unterwegs ist) und wir es grossem Glück zu verdanken haben, dass die Welt nicht schon längst in Schutt und Asche liegt.
„Die psychologische Befriedigung aller nachrichtendienstlichen Arbeit besteht darin, mehr zu wissen als die Gegner, aber auch mehr als die Verbündeten. In der allumfassenden, globalen Sichtweise von Langley besass die CIA das Recht, alles zu wissen, was sie wissen wollte.“ Und so kam sie Gordijewski auf die Spur und trug in der Folge dazu bei, dass ... doch ich will dem Buch hier nicht die Spannung – und es wird noch sehr spannend! – nehmen ...
Stellenweise ist dieses Werk übrigens auch sehr lustig: So erfährt man etwa, dass „Baron Moore of Wolvercote, CCB, GCVO, CMG, QSO sowie oberster Hüter der Geheimnisse der Königin“, nach seiner Pensionierung als Privatsekretär der Königin zum Permanent Lord-in-Waiting ernannt wurde.
Der Spion und der Verräter zeigt eindrücklich, woher die grösste Gefahr für unsere Welt droht: Der Fähigkeit des Menschen, jeden Unsinn zu glauben – und dann Belege dafür zu finden. Man denke etwa an die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein. Es grenzt an ein Wunder, dass es die Zivilisation, trotz all der Durchgeknallten in Führungspositionen und der bereitwillig jeden Schwachsinn Ausführenden, nach wie vor gibt.
Fazit: Wer Russland und das Denken des Kreml verstehen will, sollte diesen packenden, unterhaltsamen, informativen und hervorragend geschriebenen Non-Fiction-Thriller lesen!