Steerpikes avatar

Steerpike

  • Mitglied seit 23.09.2007
  • 3 Freund*innen
  • 107 Bücher
  • 47 Rezensionen
  • 72 Bewertungen (Ø 3,29)

Rezensionen und Bewertungen

Filtern:
  • 5 Sterne12
  • 4 Sterne19
  • 3 Sterne23
  • 2 Sterne14
  • 1 Stern4
Sortieren:
Cover des Buches Ludwigshöhe (ISBN: 9783406576898)

Bewertung zu "Ludwigshöhe" von Hans Pleschinski

Ludwigshöhe
Steerpikevor 16 Jahren
Cover des Buches Die Gabe (ISBN: 9783499139024)

Bewertung zu "Die Gabe" von Vladimir Nabokov

Die Gabe
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Die Gabe" von Vladimir Nabokov

Je öfter ich Nabokov lese, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass mir nur die Hälfte seines Werkes liegt. Leider kann man es nicht nach den bekannten Perioden einteilen. Nach dem grandiosen "Leben des Sebastian Knight" (The Real Life of Sebastian Knight")- dem ersten Roman, den er auf Englisch verfasste - war ich angefixt, wechselte dann ins russische Frühwerk - "Einladung zur Enthauptung" (Priglaschenie na kasn') - eine seltsame Erfahrung. Also wieder zurück zum englischen Spätwerk - "Verzweiflung" ("Despair") - eine noch seltsamere Erfahrung. So verstaubten die nächsten fälligen Nabokovs im Regal. Ein Versäumnis, das mir jetzt wieder ganz deutlich vor Augen getreten ist, nach der Lektüre von Nabokovs letztem auf Russisch geschriebenen Roman "Die Gabe" ("Dar"). In dem 600 Seiten und fünf Kapitel umfassenden Erzählwerk wird von dem russischen Emigranten Fjodor Godunow-Tscherdynzev berichtet, der im Berlin der Zwanziger Jahre ein kärgliches Dasein fristet, das er vollständig dem bohèmienhaften Leben und dem Schreiben unterordnet. Nabokov schildert im ersten Kapitel den Einzug Fjodors bei der Zimmerwirtin Klara Stoboi, dann erfahren wir einiges über die Kindheit Fjodors und zwar anhand seiner erfolglos publizierten und etwas unbeholfenen Gedichte. Fjodor stammt aus gutem Hause, ist eigentlich Graf, aber durch die Oktoberrevolution vollständig verarmt und in die Diaspora gezwungen. Sein Vater, dessen Leben das zweite Kapitel skizziert, ist ein berühmter russischer Naturforscher, der die halbe Welt bereist hat und bei Ausbruch der russischen Unruhen in den Weiten Asiens verschwand.

Fjodor lebt nun von der Hand in den Mund, gibt Stunden in den zahlreichen Sprachen, die er wegen seiner aristokratischen Erziehung beherrscht, und lehnt gerne auch mal einen Übersetzungsauftrag ab, weil ihm Übersetzungen ins Deutsche so sehr zuwider sind. Überhaupt ist festzustellen, dass Fjodor mit Deutschland nichts anfangen kann (es gibt einen sehr schönen Abschnitt, in dem er in der Straßenbahn sitzt und die ganzen Nachteile der Deutschen aufzählt), sondern dem verlorenen Paradies des zaristischen Russland nachhängt.
Ein erstes Romanprojekt über den eigenen Vater scheitert, doch nach einiger Zeit hat Fjodor die grandiose Idee das Leben des russischen Hardcore-Utilitaristen Nikolaj Tschernischevskij nachzuzeichnen, der mit seinem Roman "Was tun?" (Schto delat') und seiner protonaturalistischen Ästhetik zu einem der Säulenheiligen des sozialistischen Realismus wurde. Das vierte Kapitel referiert Fjodors Buch, das erwartungsgemäß voller Spott ist und im fünften Kapitel eine große Debatte in russischen Emigrantenkreisen hervorruft.

Nabokov ist sprachlich ein wahrer Meister. Kompositorisch ist er sicher gewöhnungsbedürftig, man muss den verschlungen Arabesken des Denkens seiner Hauptfiguren folgen und sich ab und an darauf einstellen, dass sich die letzten fünf Seiten nicht wirklich zugetragen haben, sondern ein fiktives Gespräch im Kopf Fjodors waren.
Nabokov ist außerdem sehr belesen und ein großer Kenner (nicht nur, aber vor allem) der russischen Literatur. Ein ausführlicher Anhang macht die vielen Anspielungen, die sich in dieser Hinsicht in Nabokovs Texten finden bei den Rowohlt Taschenbüchern dankenswerterweise leicht nachvollziehbar. Es schadet aber auch nichts, zusätzlich noch eine russische Literaturgeschichte neben sich liegen zu haben. Über die Berliner Bohème lernt man bei Nabokov nichts, zu sehr ist sein Blickwinkel eingeengt auf die russische Emigrantenszene, die international besser vernetzt ist als mit der ortsansässigen deutschen Kunstszene.

Nabokov zu lesen ist immer ein Spiel, es ist nichts für den ökonomischen Leser, nichts für jemanden der keine Exkurse mag. Allerdings sind die Exkurse bei Nabokov fundiert und kurzweilig. Und (s.o.) man sollte natürlich gerade zum Einstieg die weniger symbolhaften Texte erwischen. Vielleicht werden sich mir bei einer Zweitlektüre auch noch die anderen besser erschließen, für den Augenblick bin ich glücklicher mit der süffigen und angenehm dünkelhaften Prosa, wie sie in "Die Gabe" zur Vollendung gebracht ist.

Cover des Buches Atonement (ISBN: 9780099429791)

Bewertung zu "Atonement" von Ian McEwan

Atonement
Steerpikevor 16 Jahren
Cover des Buches Millionen (ISBN: 9783551355676)

Bewertung zu "Millionen" von Frank Cottrell Boyce

Millionen
Steerpikevor 16 Jahren
Cover des Buches Der Weg nach Surabaya (ISBN: 9783596142125)

Bewertung zu "Der Weg nach Surabaya" von Christoph Ransmayr

Der Weg nach Surabaya
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Der Weg nach Surabaya" von Christoph Ransmayr

"Der Weg nach Surabaya" versammelt Reportagen, Dankesreden und andere kleine Prosa, die Christoph Ransmayr zu verschiedenen Gelegenheiten über 25 Jahre hinweg veröffentlicht hat. Die Reportagen erschienen in Zeitschriften wie Geo, Merian oder TransAtlantik und sind daher vor allem Reiseberichte. Die Dankesreden zu einigen seiner Prämierungen umfassen unter anderem den kleinen titelgebenden Text, der von einer Lastwagenfahrt in Indonesien erzählt, auf der Christoph Ransmayr den Reisenden in einer Sprache vorliest, die sie im Gegensatz zu ihm verstehen. Ein skurriles fait divers mit genügend Platz für Gedanken zur Kommunikation.

Besonders haben mir die Reportagen gefallen. Den Einstieg macht ein Bericht über Hooge, die kleinste der Halligen, und ihre Geschichte. Ransmayr befragt einfache Leute ebenso wie die örtlichen Würdenträger, und es gelingt ihm, aus seinen Beobachtungen immer nachdenklich stimmende Pointen herauszuarbeiten. So ist der Bericht über Hooge unter anderem eine Reflexion auf die Unumkehrbarkeit der Zeit. Ähnliches gilt für den Bericht über die Kontruktion der Talsperren im österreichischen Kaprun, mit deren Ingenieur Ernst Rotter sich Ransmayr lange unterhalten hat. Jener äußert dabei den denkwürdigen Satz: "Seltsam, in der Mitte des Lebens zu stehen und dabei zu wissen, dass alles, was noch kommt, nur das Kleinere und Unbedeutendere sein kann." Was Ransmayr über diese Portraits gelingt, ist nicht zuletzt, eine Weisheit des Volkes zu übermitteln, die nicht immer und nicht überall, manchmal aber eben doch in ganz erstaunlichem Maße vorhanden ist. Er idealisiert dabei nicht das einfache Dorfleben - weit davon entfernt und ganz im Gegenteil. So ist zum Beispiel sein Portrait von "Habach. Ein Andachtsbild aus Oberbayern" alles andere als schmeichelhaft. Aber einfache Vorurteile werden auch hier nicht bedient, vor allem wenn Einsiedler wie Josef Werwein aus Habach in einer späteren Reportage über die Rolle des Fernsehens an den verschiedensten Orten Europas wieder vor- und zu Wort kommen und dabei ganz anders wirken...

Ransmayr ist befasst mit den Rändern, aber manchmal eben auch mit dem Typischen, das irgendwie randständig und exzentrisch wirkt. Sicherlich kann man nicht sagen, dass alle Texte gleich stark oder gleich pointiert sind, das ist in einem solchen Sammelband, dessen Texte außerdem zu sehr verschiedenen historischen Momenten (1979-1996) entstanden sind, auch kaum zu erwarten. Ransmayrs Prosa besticht aber auch in diesen Miniaturen mit derselben Überlegtheit und Sachlichkeit, die ich aus seinen Romanen kenne und über alles liebe.

Mein Lieblingsstück ist das einer Busreise zur exilierten Habsburger Kaiserin Zita anlässlich ihres 90. Geburtstags, in dem er mit einer unglaublichen Subtilität und ohne Häme die österreichische Obsession mit der untergegangenen Donaumonarchie greifbar werden lässt. Ransmayr verwebt hier überaus geschickt die Selbstbeobachtung mit der Beobachtung der wallfahrenden Monarchisten und garniert das ganze noch mit einer Zusammenfassung der Geschichte des Hauses Habsburg, der Geschehnisse um das österreichische Habsburgergesetz und mit einer Unterhaltung mit dem Historiker Friedrich Heer, der seine persönliche Analyse dieses ganzen kulturell so eminent wichtigen Komplexes vorträgt. Ransmayr ist ein spür- und sichtbarer, dabei aber immer erstaunlich unparteiischer Chronist, eine Leistung, die ich gar nicht genug würdigen kann.

Cover des Buches Nennt mich nicht Ismael! (ISBN: 9783446230378)

Bewertung zu "Nennt mich nicht Ismael!" von Michael Gerard Bauer

Nennt mich nicht Ismael!
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Nennt mich nicht Ismael!" von Michael Gerard Bauer

Ishmael Leseur leidet unter seinem Namen, denn er ist, seit er in der neunten Klasse ist ein ständiger Quell des Hohns von Seiten des Klassenbullys Barry Bagsley. Ishmael ist ein typisches Opfer, bis James Scobie in die Klasse kommt, ein kleiner gedrungener Junge mit auffälligen Ticks, einer irritierenden Ordnungsmanie und einer messerscharfen Sprache. Und: Er kann seit einer Operation, bei der ihm ein Gehirntumor entfernt wurde, keine Angst mehr fühlen. Mit James Hilfe gelingt es Ishmael, sich aus seiner Außenseiterposition herauszuarbeiten, doch als James eines Tages nicht mehr im Unterricht erscheint, schikaniert Barry Bagsley seine Lieblingsopfer wieder schlimmer als jemals zuvor. Und Ishmael ist in der Lage, Angst zu spüren. Hat er von seiner Zeit mit James auch gelernt, wie man diese Angst ohne Hirn-OP überwinden kann?

Michael Gerard Bauer gehört zu einer ganzen Reihe sehr geschickter und literarisch durchaus anspruchsvoller australischer Jugendbuchautoren. Nach einigen begeisterten Rezensionen und ein paar enthusiastischen persönlichen Tipps, musste ich einfach sehen, was an ihm dran ist.
"Don't call me Ishmael" ist ein ausgezeichnetes Jugendbuch, der Zeigefinger bleibt auch in brenzligen Situationen unten, die Sprache ist heutig, aber nicht aufgesetzt jugendlich, die Charaktere sind liebenswert mit all ihren Schwächen. Inhaltlich ist das Buch in den großen Linien zwar recht erwartbar, den Unterschied machen aber dessen Aufteilung und die Fähigkeit Bauers, Ishmaels Entwicklung glaubwürdig, das heißt nicht zu glanzvoll darzustellen und trotzdem ein fast vollkommenes Happy End hinzulegen. Vielleicht wäre das - auch in einem Jugendbuch - nicht ganz so vollständig nötig gewesen, insgesamt hat es mich allerdings nicht gestört. Ein Autor, den man im Auge behalten muss, dieses zweite Buch war sicher noch nicht sein letztes Wort.

Cover des Buches The English Harem (ISBN: 1846880009)

Bewertung zu "The English Harem" von Anthony McCarten

The English Harem
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "The English Harem" von Anthony McCarten

Die 20jährige Kassiererin Tracy Pringle verliert ihren Job, weil sie vor lauter Tagträumerei einen unter ihrer Nase stattfindenden Ladendiebstahl übersieht. Sie muss schleunigst neue Arbeit finden, um die prekäre finanzielle Situation zu Hause nicht noch zu verschärfen: Ihr Vater Eric ist arbeitslos, seit bei der Explosion eines Gastanks sein Fußgelenk zerschmettert wurde, und ihrer hart arbeitenden Mutter kann nicht noch mehr Last aufgebürdet werden, als sie als Erzieherin in einer Vorschuleinrichtung ohnehin schon trägt.
Tracy macht sich auf und findet dank ihrer Hartnäckigkeit einen Job in dem vegetarischen Restaurant "Taste of Persia", das von dem etwa 50jährigen Sam Sahar geführt wird. Tracy wird schnell zu einem unverzichtbaren Mitglied der Belegschaft des Restaurants. Auch mit Sam, dessen Frau Yvette ebenfalls im "Taste of Persia" bedient, versteht sie sich immer besser. Als eines Tages Sams kleiner Sohn Mohamad im "Taste of Persia" erscheint, macht Tracy allerdings ein paar Entdeckungen: Yvette ist nicht die Mutter von Sams Kindern, die gehören der schönen Firouzeh, ehemalige Frau von Sams jüngerem Bruder, der bei einem Bombenattentat im Irak ums Leben gekommen ist. Außerdem sind die Kinder eigentlich Sams Neffen. Und Yvette ist auch nicht Sams einzige Frau, Firouzeh ist ebenfalls mit ihm verheiratet.
Nach einer anfänglichen Verwirrung gewöhnt sich Tracy an dieses häusliche Arrangement und mehr als das. Denn nach und nach beginnt sie sich in den charmanten und weltgewandten Sam zu verlieben. Das bleibt von ihrer Umwelt nicht unbemerkt und sowohl Tracys Eltern als auch ihr ehemaliger Liebhaber Ricky Innes sind nicht gerade begeistert, als sie erfahren, dass Tracy Sams dritte Frau zu werden gedenkt. Die Gegenmaßnahmen, die ergriffen werden, zeitigen allerdings eine Menge unvorhergesehener Komplikationen.

Anthony McCarten legt mit "The English Harem" großartige und intelligente Unterhaltung vor. Ein Buch, das man kaum beiseite legen kann, voller überraschender Wendungen und allmählicher Enthüllungen. Auf sehr clevere Weise wird der Finger in die moralisierende Wunde der seriellen Monogamie gelegt. McCarten zeigt in verdichteter, aber keineswegs komplizierter oder übermäßig konstruierter Weise die Lügen und Beschönigungen, von denen dieses für die westliche Welt so selbstverständliche Konstrukt lebt. Er zeigt die Vorurteile und Obsessionen einer Gesellschaft, die gerade in diesem Punkt keine Abweichung dulden kann und sich eine eigentlich nicht sehr extravagante Familie zu einem höchst unmoralischen Swingerclub ausfantasiert.

Die Zwischentöne gelingen McCarten dabei besonders gut, etwa wenn er die voruteilsstarren Ost-/West-Fronten auflöst, indem sich plötzlich die englische Arbeiterfamilie mit der traditionell muslimischen Familie aus dem theokratischen Iran einig darüber ist, dass die Ehe zwischen Sam und Tracy nicht zu akzeptiern sei. Oder indem der übereifrige Mitarbeiter der Londoner Social Services Sebastian Partridge durch einen verführerischen Ausschnitt dazu gebracht wird, die moralische Unbedenklichkeit des Vielfrauenhaushalts vor Gericht zu bezeugen.

Rätselhaft blieb mir eigentlich nur, warum trotz allen Wissens um die Vorurteile der Umgebung, die Sahars so unglaublich störrisch auf der Benennung ihrer Beziehung als "Ehe" bestehen. In allen anderen Beziehungen sind die Figuren sehr reflektiert und voll praktischer Weisheit gezeichnet, in dieser einen Beziehung geht die Symbolik der Benennung offenbar vor dem problemlosen Zusammenleben.

McCarten macht aber durch seine Auflösung der Handlung diese Überlegungen fast schon obsolet, denn am Ende hätte auch ein weniger aufgeladenes Vokabular den Gang der Dinge nicht verändert.

Ein wirklich gelungener Roman eines jungen Schriftstellers, auf dessen weitere Bücher ich nun sehr gespannt bin.

Cover des Buches Die Spur des Teufels (ISBN: 9783813502961)

Bewertung zu "Die Spur des Teufels" von John Burnside

Die Spur des Teufels
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Die Spur des Teufels" von John Burnside

An einem Wintertag vor langer Zeit soll im Städtchen Coldhaven an der schottischen Ostküste der Teufel dem Meer entstiegen sein, die Stadt durchwandert und sie dann in Richtung des Landesinneren wieder verlassen haben. Mit dieser Legende beginnt John Burnsides Erzählung "Die Spur des Teufels". Und ich sage es gleich zu Anfang, leider ist mir der erzählerische Grund für diese Anekdote auf den ganzen 255 Seiten nicht recht klar geworden.
Michael Gardiner ist der Sohn eines weltberühmten Fotografen und einer Künstlerin, die sich nach Coldhaven zurückgezogen haben, die aber von der Dorfbevölkerung als Zugezogene nicht angenommen, ja regelrecht schikaniert werden. Auch der kleine Michael hat es in der Schule nicht leicht. Vor allem Malcolm Kennedy entwickelt sich immer mehr zu einer kaltblütigen Nemesis für den jungen Michael. Als dieser Jahrzehnte später (er ist inzwischen unglücklich mit der schönen Amanda verheiratet) von einem eigenartigen Mord- bzw. Unglücksfall liest, in den die Schwester Malcolm Kennedys, Moira, verwickelt ist, kehren die Erinnerungen an die Kindheit bei Michael wieder. Vor einigen Jahren hatte er nämlich mit Moira eine Affäre, und dies praktisch unmittelbar im Anschluss an den Tod ihres Bruders Malcolm.

"Die Spur des Teufels" ist ein eigenartiges Buch, aber nicht im guten Sinne. Sie lässt sich an wie eine Art Thriller. Man ahnt, dass Michael in irgendeiner Beziehung zum Todesfall Moiras und ihrer beiden Kinder stehen muss und wird auch sogleich mit einigen Details versorgt, die einen in dieser Annahme bestätigen. Es handelt sich dabei um eine recht herkömmliche Geschichte um einen vom Klassenbully gequälten Einzelgänger, der irgendwann Rache nimmt. Das liest sich alles recht flüssig, ist aber - wie erwähnt - nicht sonderlich originell. Die Story vom nicht anerkannten Zugezogenen und seinen Leiden in einem von Gott und wie wir wissen sogar dem Teufel verlassenen Nest lesen wir hier zum n-ten Male. Und wir kennen bessere Varianten.

Schlimmer wird es im zweiten Teil des Buches, in dem sich Michael Gardiner auf eine metaphysische Sühnefahrt mit der 14-jährigen überlebenden Tochter Moiras begibt. Hier brechen dann auch die Rückblenden ab und wir sehen uns eigentlich nur noch mit populärphilosophischen Überlegungen und einer keuschen Art Lolita-Geschichte konfrontiert.

Das Gute an dem Buch ist, dass es kurz ist und sich gut lesen lässt. Schlecht ist die mäßige Originalität, die zusammengeschusterte Art des Erzählens, die manche Details länglich auswalzt, andere nur andeutet, insgesamt aber leider kein Interesse an den Geschehnissen oder den Figuren zu wecken vermag. Die Kulisse Coldhavens bleibt abgeschmackt und altbekanntes Landbevölkerungs-Klischee. Und die Erkenntnisse über Natur und Herkunft des Teufels sind von einer fast schon erschütternden Banalität.

Kein unlesbares, kein abgrundtief schlechtes, einfach ein belangloses Buch.

Cover des Buches Das dunkle Schiff (ISBN: 9783902497369)

Bewertung zu "Das dunkle Schiff" von Sherko Fatah

Das dunkle Schiff
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Das dunkle Schiff" von Sherko Fatah

Kerim wächst im Irak der Kuwaitkrise als ältester Sohn eines nominell alevitischen, de facto aber atheistischen Restaurantbesitzers auf. Erzählt wird seine Lebensgeschichte, in der er zunächst ein verhätschelter und übergewichtiger Stammhalter ist. Nachdem aber sein Vater aus recht undurchsichtigen Gründen von den Handlangern Saddams ermordet wird, muss Kerim das Restaurant übernehmen. Das tägliche Einerlei hat er schnell satt. Er träumt davon, es seinem Onkel Tarik gleichzutun und nach Deutschland auszuwandern. Die Gelegenheit dazu ergibt sich unter eigenartigen Umständen: Als er auf dem Weg zu seinen Großeltern ist, wird er eines Tages von islamistischen Fundamentalisten gekidnappt, denen er sich nach kurzer Gefangenschaft halb aus Angst, halb aus Faszination anschließt. Es folgt eine Zeit, von der die Leser erst nach und nach erfahren, am Ende löst sich Kerim jedoch von den "Gotteskriegern" und nicht nur das, er stiehlt ihre gesamte Barschaft, als sie während einer Razzia durch die Amerikaner im allgemeinen Tumult kurz unbeaufsichtigt ist. Ausgestattet mit diesem kleinen Vermögen kehrt er zunächst zu seiner Familie zurück und nimmt das Geschäft wieder auf, doch längst ist in ihm der Entschluss gereift, mit Hilfe des gestohlenen Geldes die Auswanderung nach Deutschland zu bezahlen.

Ich hatte von Sherko Fatah bis zu seiner Nominierung zum diesjährigen Deutschen Buchpreis nichts gehört, dabei ist "Das dunkle Schiff" nicht der erste Roman, mit dem er Aufsehen erregt. Bereits 2001 erhielt er für seinen Erstling "Im Grenzland" den Aspekte-Literaturpreis.

"Das dunkle Schiff" geistert als moderner Abenteuerroman mit all seinen Varianten durch die Feuilletons: Da ist die Rede vom Schelmenroman, gar vom Entwicklungsroman, kaum eine Tradition scheint zu gewaltig für dieses Buch. Tatsächlich ist "Das dunkle Schiff" ein süffig zu lesender, dabei formell nicht wahnsinnig innovativer Roman über die Lebensgeschichte eines Emigranten. Abgesehen von den Rückblenden in Kerims Zeit bei den "Gotteskriegern" wird hier schön chronologisch ein Leben erzählt. Und ich möchte behaupten, das wäre nicht weiter interessant - wäre da nicht die Hauptfigur.

Kerim ist kein Schelm, er ist auch kein "Wilhelm Meister", wenn sein Leben auch ein bewegtes ist. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass es im Roman keine Entwicklung gibt, die gibt es in Hülle und Fülle, und sie ist beileibe nicht nur äußerlich. Doch Kerim wird vom dicken, feigen Kind zum dicken, feigen und frustrierten Erwachsenen, zum dünnen, gläubigen Erwachsenen, zum Auswanderer, zum naiven Opfer der eigenen Passivität. Und auch das trifft es nicht vollkommen, denn Kerim ist bis zu seinem 22. Lebensjahr weitaus aktiver und wagemutiger als der durchschnittliche Mitteleuropäer. Er hat auch viel mehr erlebt und viel mehr Verantwortung getragen. Er hat sich auch verändert.

Das Geheimnis der Figur liegt aber in ihrer Gewöhnlichkeit. Kerim ist eigentlich ein Spießer, Antrieb seiner Handlungen ist eine diffuse Feigheit und das fast vegetative Interesse am eigenen Vorteil. Das Buch ist in fünf Teile unterteilt und in jedem der Teile macht sich Kerim eines feigen Verrats schuldig - nicht böswillig, einfach aus Schwäche und Selbstschutz, doch nichtsdestoweniger folgenreich für die Opfer (und für den Leser) von großer Abscheulichkeit. Man ist an solche Protagonisten nicht gewöhnt. Man ist an die Helden und an die Feigen, an die Schwachen und an die Berechnenden gewöhnt, aber nicht an die Gewöhnlichen, die in Situationen geraten, in denen für Moral kein Platz ist, und die ihr Leben, nachdem sie moralisch eklatant gefehlt haben, vielleicht auch nur aus einer Laune heraus, einfach weiterleben und das immer noch als ganz normale Menschen: Fatah zeigt in unglaublich geschickter Weise, auf welcher "moralischen" Grundlage Menschen gewöhnlich handeln.

Das Großartige an dem Buch ist, dass Kerim trotz seines oft haarsträubenden Verhaltens nie unsympathisch wirkt. Das gelingt durch die klare und lapidare Erzählweise Fatahs, der die Lesenden mit Kerim in gewisse Situationen führt, in denen für lange Reflexion meist keine Zeit bleibt. Die Verfehlungen werden aus dem Bauch heraus begangen und später nicht einmal verdrängt, sondern durchaus als Verfehlungen akzeptiert. Weder Figur noch Leser sehen eine wirkliche Alternative zu diesem Handeln. Fatah gelingt auf diese Weise der Entwurf eines unglaublich memorablen Charakters.

Gerade deshalb überzeugt mich das Ende des Buches nicht, das sich von seiner Hauptfigur passagenweise entfernt und hier oft hölzern und unbeholfen wirkt. Allerdings sehe ich die Schwierigkeit, in die der Handlungsverlauf eine so spontan angelegte Figur bei diesem Ende führen muss. So halte ich den fünften Teil des Buches zwar nicht für glücklich, aber immerhin für konsequent. Und da ich hier nicht alles verraten kann, gilt: selber lesen.

Ohne die Konkurrenz schon gelesen zu haben, wünsche ich Sherko Fatah das Vorrücken auf die Shortlist am 17. September.

Cover des Buches Morbus Kitahara (ISBN: 9783596137824)

Bewertung zu "Morbus Kitahara" von Christoph Ransmayr

Morbus Kitahara
Steerpikevor 16 Jahren
Rezension zu "Morbus Kitahara" von Christoph Ransmayr

Christoph Ransmayr präsentiert in diesem Roman von 1995 eine [i]alternative history[/i]-Geschichte: Was wäre wenn nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland nicht in den Marshall-Plan einbezogen, sondern deindustrialisiert worden wäre. Dieses Gespenst ist unter dem Namen "Morgenthau-Plan" bekannt und berüchtigt, der in "Morbus Kitahara" allerdings nirgends ausdrücklich erwähnt wird.

Drei Figuren begleiten wir durch eine Welt, die zivilisatorisch zurückfällt, von Tauschhandel und Fischfang lebt, in der das Standrecht nur solange nicht herrscht, wie es dem Militär der Besatzungsmächte nicht zupass kommt.
Drei Figuren leben in dieser Welt: Bering ist der Sohn des Schmieds, der Vögel liebt und dessen erste Sprache die der Hühner ist, bevor er in die Welt der Menschen kommt und dort mit der harten Nachkriegsrealität seines heimkehrenden, geistig und physisch zerstörten Vaters konfrontiert wird. Ambras ist der "Hundekönig" und der Verwalter des Steinbruchs von Moor, so heißt die fiktive Ortschaft in den Alpen, in der die Handlung hauptsächlich angesiedelt ist.
Ambras ist Überlebender eines Lagers und von den dort erlittenen Folterungen schwer gezeichnet. "Hundekönig" wird er genannt, weil er in einer verlassenen Villa am Moorer Seeufer zusammen mit einem Rudel entlaufener und bissiger Hunde lebt, die er sich gefügig gemacht hat und die ihn wie eine Privatarmee umgeben und beschützen.
Lily ist die Tochter eines Kriegsverbrechers, der kurz vor seiner Auswanderung nach Brasilien in Moor von ehemaligen Lagerinsassen erkannt und gelyncht wurde. Sie lebt vom Tauschhandel mit Kriegsreliquien, Smaragden und Munition aus einem vergessenen Depot in den Bergen.
Bering repariert eines Tages das einzige Auto im Dorf, das dem Hundekönig gehört. Dieser nimmt in daraufhin als Leibwächter und persönlichen Diener bei sich auf. Bering verliebt sich in Lily, die häufig in der von Ambras annektierten Villa Flora verkehrt. Lily liebt weder Ambras noch Bering, mit dem sie nur während eines Rockkonzertes einmal ein paar zärtliche Momente erlebt. Ansonsten scheinen die drei viel zu sehr mit ihrem Schicksal und der zerstörten Welt beschäftigt zu sein. Tatsächlich wirken sie seelen- und gefühllos, kümmern sich um die Ausführung von Befehlen - Ambras um die der Besatzer, Bering um die Ambras' - sowie um das wirtschaftliche Überleben in dieser unwirtlichen Welt (hierfür steht vor allem Lily), in der für Moral oder Skrupel kein Platz zu sein scheint.
Der titelgebende Morbus Kitahara, die allmähliche Verfinsterung des Blicks, befällt Bering und ein auf das menschliche Auge fixierter Armeesanitäter erklärt ihm, was es damit auf sich hat: Morbus Kitahara entsteht durch das zu lange Fixieren eines Objekts, verschwindet aber normalerweise irgendwann von selbst wieder. Morbus Kitahara ist natürlich auch symbolisch zu verstehen, auf die Ausblendung bestimmter Bereiche des Lebens, die zu einer Verfinsterung der Moral führt.

Christoph Ransmayr verehre ich seit einigen Jahren schon sehr, vor allem für seinen großartigen Romanerstling "Die Schrecken des Eises und der Finsternis", in dem es um die Entdeckung des arktischen Franz-Josef-Landes durch eine österreichische Polarexpedition und um deren moderne Spiegelung geht. Mit "Die letzte Welt", einem Roman über die Exiljahre Ovids, der vom Feuilleton gefeiert wurde, wurde Ransmayr einem breiteren Publikum bekannt.
Ransmayr nimmt sich für seine Romane immer sehr viel Zeit, er hat, wenn ich richtig zähle, erst vier Romane veröffentlicht, von denen ich nun drei gelesen habe, die ich alle für sehr bemerkenswert halte, für sprachlich ansprechend, für überaus durchdacht, dabei aber keineswegs verkopft oder totsymbolisiert.
Ich weiß, dass ein Großteil des Feuilletons diese Meinung gerade in Bezug auf "Morbus Kitahara" nicht geteilt hat, dass der Roman als zu artifiziell und blutleer beschrieben wurde. Sich aber über ein "zu" zu streiten, ist stets schwierig. Nach meiner Empfindung ist dieses Buch ein sehr gelungenes, originell in der Wahl des Themas, stilistisch dabei sehr zugänglich, wenn auch nicht inhaltlich banal. Das Schicksal der drei Überlebenden des Krieges wird spannend beschrieben, man verliert nie das Interesse an den unter so feindlichen Umständen gestrandeten Figuren, die von der Vergangenheit in allem, was sie tun, geprägt sind, allerdings nicht in dem Sinne, dass sie moralisch aus ihr gelernt hätten. Die Figuren sind im Krieg und in der Gleichgültigkeit, die das eigene Leiden mit sich bringt, vollständig erstarrt. Und auch als sich Berings Blick wieder etwas lichtet, bedeutet dies nicht, dass er sich von seiner im letzten Drittel des Buches immer wieder thematisierten Wut gelöst hätte.

Über mich

  • männlich

Freund*innen

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks